Leser Lukas Marin stellte uns eine Frage zum Thema Organtransplantation
Onkologie-Oberarzt Dr. Serkan Karakaya gibt hier weitgehend Entwarnung: „Es gibt weltweit nur wenige Einzelfälle, in denen Spenderorgane eines Krebskranken verpflanzt wurden und bei denen die Empfänger dann an Krebs erkrankt sind“, sagt der Kebsexperte. Solche Fälle sind so selten, dass es kaum Statistiken, sondern nur einzelne Fallbeschreibungen gibt. Lediglich in England analysierten Forscher einmal die Werdegänge von 30 000 Transplantationspatienten. Das Risiko, dass Tumorgewebe an die Empfänger weitergegeben werde, lag den Ergebnissen zufolge bei 0,01 Prozent. Und selbst in den sehr wenigen Fällen, in denen das geschieht, bekommt der Organempfänger nicht zwangsläufig Krebs.
Krebskranker Organspender
Dr. Karakaya selbst hatte erst vor wenigen Wochen einen Patienten, der Organspender war und bei dem tatsächlich erst nach dessen Hirntodfeststellung im Marienhospital eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde. „Es handelte sich um einen Mann Mitte fünfzig, der bewusstlos mit dem Krankenwagen eingeliefert wurde und bei dem jede Hilfe zu spät kam. Man diagnostizierte bei ihm eine Hirnblutung aufgrund eines geplatzten Gefäßes“, so Dr. Karakaya.
Verdächtige Blutwerte entdeckt
Man fand in den Papieren des Patienten einen Organspendeausweis. Jedes Krankenhaus hat einen Transplantationsbeauftragten, der hinzugezogen wird, wenn ein Organspender verstirbt. Im Marienhospital ist das Oberarzt Dr. Yves Oberländer, der ärztliche Leiter der internistischen Intensivstation, dessen Patient der Verstorbene zudem war. „Den Kollegen auf der Intensivstation ist aufgefallen, dass der Patient unter Blutarmut litt, sein Blut also zu wenig rote Blutkörperchen hatte. Das kann auf eine Infektion hinweisen, aber auch auf chronische Krankheiten. Und auch Krebs kann eine Ursache sein“, erläutert Serkan Karakaya. Zwar werden an verstorbenen Organspendern zahlreiche Standarduntersuchungen durchgeführt, um sicherzustellen, dass ihre Organe keine Krankheiten übertragen. „Die Untersuchung des Knochenmarks gehört nicht dazu. Wir haben sie aber vorgenommen, um bei dem Patienten Blutkrebs auszuschließen“, erläutert Dr. Karakaya.
Intensivstation, Onkologie, Labor
Das Marienhospital setzt stark auf interdisziplinäre Zusammenarbeit, und in diesem Fall rettete die enge Kooperation dreier Abteilungen eventuell potenzielle Organempfänger. „Aufgefallen war der Befund ja den Kollegen auf der Intensivstation, die uns Onkologen diesen dann mitgeteilt hat. Wir haben dann Knochenmark aus dem Becken des Verstorbenen entnommen und es bei unseren Kollegen von der Labormedizin präparieren und einfärben lassen,“ erläutert Dr. Karakaya. Hirntote Verstorbene werden weiterbeatmet, damit die Organe überleben, aber es kommt trotzdem bei einer Organtransplantation auf Schnelligkeit an. „Daher war es gut, dass wir zu den Kliniken gehören, die Knochenmarksuntersuchungen auch im eigenen Haus vornehmen können“, erläutert der Krebsexperte. So habe er bereits vier Stunden nach der Entnahme des Knochenmarks den vom Kliniklabor präparierten Objektträger mit dem entnommenen Zellmaterial unter seinem Mikroskop liegen gehabt, so Dr. Karakaya.
Organspender hatte Blutkrebs
Der Befund war eindeutig: Der Patient hatte ein Multiples Myelom, also eine bösartige Erkrankung der weißen Blutkörperchen. Für eine Organentnahme kommen krebskranke Verstorbene nicht infrage, obwohl es bei vielen Krebsarten eher unwahrscheinlich ist, dass sich Krebs durch eine Organtransplantation auf den Empfänger überträgt. Da der Befund so schnell vorlag, konnten die Stiftung Eurotransplant, die Organtransplantationen in ganz Europa koordiniert, rechtzeitig informiert werden. So wurde gerade noch verhindert, dass Transplantationsexperten der niederländischen Klinik, in der die Organe verpflanzt werden sollten, vergeblich nach Deutschland flogen. „Die Ärzte des Entnahmeteams standen nämlich schon in Amsterdam am Flughafen, um nach Stuttgart zu fliegen und die Organentnahme im Marienhospital vorzunehmen“, so Dr. Karakaya. „Dass wir die Krebserkrankung bemerkt haben, hat unter Umständen Menschen davor bewahrt, durch ein übertragenes Organ Krebs zu bekommen. Andererseits warten so viele Kranke verzweifelt auf Spenderorgane. Als Arzt tut es einem daher leid, wenn die Organe eines potenziellen Spenders nicht transplantiert werden können, weil sie krank sind“, sagt Dr. Karakaya. „Gut wäre es, wenn mehr Menschen einen Organspendeausweis hätten, sodass genügend gesunde Organe zur Verfügung stünden“, so sein Appell.
Organspendeausweis – nur einen Klick entfernt: 81 Prozent der Deutschen wären grundsätzlich bereit, ihre Organe nach dem Tod zu spenden. Dennoch hat tatsächlich nur rund jeder Dritte einen Organspendeausweis. Unter www.organspende-info.de gibt es Informationen zum Thema sowie einen Organspendeausweis zum Bestellen oder Herunterladen.